20. November 2023

PRESS START

Ein Game-Controller ist ein Gerät, das ich statt einer Tastatur oder einer Computermaus verwenden kann als Schnittstelle zwischen Spieler und digitalen Welten. Je nach Anforderungen des Spiels können damit Kommandos und rasante Moves Wirklichkeit werden. Junge Menschen wissen das. Andere auch. Also: „PRESS START“. Jetzt geht es los!

Titelbild für Beitrag: PRESS START

PRESS START

„Morgenstund‘ hat Gold im Mund“, heißt es. Nicht nur in einer Bildungsanstalt wie der St. Mauritius-Sekundarschule sind jene, die sich dort Tag für Tag im Schulalltag begegnen, immer „gut drauf“, voll konzentriert und hellwach. Manchmal. Wenn sich nicht viel tut, manches schier ewig braucht, bis daraus etwas wird: Dort bin ich dann und wann in Versuchung: Im übertragenen Sinn den Startknopf zu drücken. Ein „Auf die Plätze! Fertig! Los!“ Kommando zu geben. Dass jene oben genannten „rasanten Moves“ Wirklichkeit werden – nicht nur am Montagmorgen. Sondern Stunde für Stunde, Tag für Tag. Immer und immer wieder.

Sehr schnelle, rasende oder staunenerregende Geschwindigkeiten werden in manchen Schulen tatsächlich erreicht. Wenn die Pausen nahen. Oder wenn der Schulschluss in Sicht- und in Reichweite ist. Am Ende eines langen, ereignisreichen und auch anstrengenden Tages in einer Ganztagsschule gibt es oft nur ein Motto: „Raus hier!“ Nicht, weil es so schlimm wäre in der St. Mauritius-Sekundarschule. Sondern, weil es manchmal wirklich reicht: Lernen und Lehren kosten Kraft. Punkt. Schluss für heute. Aus. Game over.

PRESS START

Wenn ich nicht anfange, kann ich nicht weiterkommen. Wer morgens verschläft, nicht richtig wach ist und schwer in die Gänge kommt, verpasst etwas. Das ist am Wochenende oft anders als während der (Schul-)Woche. Weil ich da vielfach mehr Zeit habe. Auch für das, was im Trubel des Alltags zu kurz kommt. Niemand ist immer und überall voll präsent. Manches bleibt in meinem Kopf, wenn und weil ich mich daran erinnere. An Schönes und Schweres. An etwas, das ich gern wieder erleben oder noch einmal erfahren würde. Doch auch an das, worauf ich hätte verzichten können. Bei mir und bei anderen. Über alle Grenzen hinweg verbindet alle(s) der Beginn: Der eines Tages. Der einer Tätigkeit. Der einer Beschäftigung. Der einer Aufgabe. Dass aller Anfang schwer ist (nicht nur das Aufstehen), wird immer wieder erlebbar und erfahrbar. Bei mir und für mich auch. Doch wohnt nicht – frei nach Hermann Hesses Gedicht „Stufen“ – „jedem Anfang ein Zauber inne“? 1941 zur Zeit des Zweiten Weltkriegs hat es jener Autor so geschrieben. Trotzdem oder deshalb: PRESS START!?

PRESS START

Was fangen wir nicht alles an? Jeder Text beginnt mit dem ersten Buchstaben. Eine Rechenaufgabe mit der ersten Zahl. Ein (Online-)Spiel startet, wenn die Internetverbindung steht, ich die passende Software und einen leistungsfähigen Computer mit einem funktionierenden Controller und manchmal auch jene habe, mit denen ich spielen – „zocken“ - kann. So lange, bis der Strom ausfällt, jemand den Stecker zieht oder Menschen, die es gut mit mir meinen, sagen „Es reicht jetzt! Hör auf!“ Dann ist Schluss.

PRESS START

Das Leben – auch in der Schule – ist weder ein billiger Zeitvertreib, eine nette Freizeitunterhaltung, noch ein Spiel, das ich nach Belieben beginnen oder beenden kann. Ich konnte mir nicht aussuchen, dass ich da bin. Andere waren die Ursache oder der Grund dafür. Nun kann ich vor mich hindämmern. So tun, als ob mich alles nichts angeht. Einfach so in den Tag hineinleben. Meinen Herrgott einen guten Mann sein lassen. Oder auf den passenden Moment warten, bis sich etwas ändert. Nicht bei anderen. Bei mir.

PRESS START

„Was kann ich denn schon tun?“ Machbar ist, mich in eine virtuelle Welt zu flüchten und dort meine Erfüllung zu suchen. Mich von Level zu Level hochzuarbeiten. Mir so meine Selbstbestätigung holen. Weil ich die Wirklichkeit nicht mehr ertragen kann. Möglich ist, dass ich wegschaue. Wenn andere nicht mehr weiterkommen oder nicht mehr weiterkönnen: „Ist es denn mein Problem, wenn jemand Schwierigkeiten hat? Mir geht es doch gut! Was die anderen nur haben … Versteh‘ ich nicht!“

Noch schlimmer ist, falls ich mein Gegenüber für zu schwach halte. Wenn ich denke, sie oder er sei nicht belastbar. Sicherlich gibt es Menschen, denen manches schwerer fällt als anderen. Es leben Zeitgenossen, die sich nichts (mehr) zutrauen. Weil sie schon so oft nicht erreicht haben, was sie sich vorgenommen hatten.  Jetzt enttäuscht oder frustriert sind. Sich aufgegeben haben. Bringt ja eh alles nichts!

Auch an der St. Mauritius-Sekundarschule bekommt niemand etwas geschenkt. Doch könnte nicht bei uns ein anderer Ton vorherrschen als anderswo? Ja, ich kann an der Realität verzweifeln mit all den Krankheiten, Kriegen, Schrecklichkeiten. Bei all dem, was Menschen wo auch immer einander antun. Ich kann resignieren bei all den vergeblichen Versuchen, dauerhaft Frieden zu schließen über Grenzen hinweg bei allen Unterschiedlichkeiten, Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten.

Ich muss nicht alle(s) und jede(n) mögen. Aber darf ich denn nicht immer wieder „PRESS START“ in Anspruch nehmen? Wenn es darum geht, neu anzufangen? Mit dem, was der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth so formuliert hat: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe. Diese drei. Doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (vgl. 1 Kor. 13, 13) Dafür ist es nie zu spät! In der Schule und außerhalb.

PRESS START

Drücken wir auf den „Start“-Knopf! Heute. Jetzt. Fangen wir wieder damit an: An mich selbst, an meine persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu glauben. Und an das Gute im anderen. Darauf zu hoffen, dass Gewalt und Grausamkeit nicht über alles siegen können.

Wieder neu zu lieben: „Ja!“ zu sagen zu mir, zu denen, denen ich Tag für Tag begegne, nicht nur in der Schule. Zu respektieren und zu akzeptieren, dass ihnen manch anderes wichtiger ist als mir. Dass wir nicht immer einer Meinung und einer Ansicht sind. Dass uns manches – vielleicht sogar viel - voneinander unterscheidet. Doch dass uns – trotz aller Gegensätze – eines verbindet: Die Möglichkeit, wieder neu anzufangen und durchzustarten. Deswegen: PRESS START!

 

Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger